Besuch!
Der Winter näherte sich Virginia City. Zwar war hier stet Wüstenklima, aber manchmal wehte hier schon eine steife Briese. Das machte John und Jim nichts aus. John vertrat gerade den Sheriff, der aus geschäftlichen Gründen fort war, und Jim hatte John zu seinem Hilfssheriff gemacht. So saßen sie gerade gemütlich im Büro des Sheriffs. John hatte die Beine auf den Tisch gelegt und las gerade die "Virginia City Nachrichten"-Zeitung, während Jim sich in die Ecke gesetzt hatte, um ein gutes Buch zu lesen, als es plötzlich klopfte.
"Nanu, er klopft denn noch bei so später Stunde?" fragte sich Jim und stand auf. Es war nämlich schon 9 Uhr abends und draußen war es bereits dunkel. Er öffnete die Tür und sah zu seinem größten Erstaunen ein etwa neunjähriges Indianermädchen, das verzweifelt schluchzte. Es war typisch indianisch gekleidet, hatte aber keine Zöpfe, was Jim sehr verwunderte. Er wusste nicht, dass es auf der Flucht zum Sheriffbüro sein Haarband verloren hatte, das seine Zöpfe zusammenhielt. Das Mädchen sah zu ihm mit verweinten Augen hoch. Jetzt stand auch John auf und kam dazu. Beide hockten sich zu ihm herunter. Jim fragte: "Was ist denn, Kleine?" "Können Sie mir helfen?" fragte das Kind. "Wir helfen dir gern. Du musst uns nur sagen, was wir tun sollen. Wie heißt Du eigentlich?" "Weißes Reh" sagte die Kleine. "Also, Weißes Reh, warum weinst Du?" "Meine Mutter ist entführt worden, von bösen weißen Männern!" Sie wollte sich die Tränen aus dem Gesicht wischen, aber John hatte schon sein Taschentuch bereit und gab es ihr. "Sag’ mal, bist Du nicht vom Stamm der Najavo-Indianer?" fragte er. Sie nickte. "Warum helfen dir deine Brüder nicht?" Sie gab ihm das Taschentuch zurück. "Die Krieger sind auf der Großen Jagd, und die Squaws wissen auch nicht, was sie tun sollen." Bei der Großen Jagd gingen die Krieger für längere Zeit vom Stamm fort, um Bisons zu jagen. Jim und John wussten das. "Hast Du denn sonst niemanden, der dir helfen kann?" fragte Jim. "Doch", sagte sie, "Aber meine Brüder und Schwestern müssen den Stamm beschützen, und die Squaws lassen sie nicht weg. Mir ist es durch Zufall gelungen zu fliehen." Sie hörte langsam auf zu schluchzen. "Erzähle uns die Geschichte der Entführung nochmal genau an, bitte", bat John. Die Kleine fing an zu erzählen. Ihre Mutter hatte sich vom Stamm entfernt, als ein böser weißer Mann sie mit einem Gewehr bedroht hatte. Danach hatte sie den Stamm alarmiert, die Squaws wollten jedoch nichts unternehmen, bis die Krieger von der großen Jagd zurück waren. Dann war sie ausgerissen und gleich zu John und Jim gelaufen. Das war alles. Es herrschte eine Weile Stille. Dann meinte Jim: "Wir helfen dir natürlich, Kleines. Aber da wäre noch eine Frage: Warum entführte der Mann deine Mutter?" "Er sagte, er wollte vom Häuptling die Goldmine haben, die auf dem Gebiet des Stammes liegt." Die Kleine fing wieder an zu weinen. John trocknete ihre Tränen. "Was meinst Du, John? Sollen wir sofort aufbrechen, oder erst bis morgen warten?" "Tja, Jim, jetzt in der Dunkelheit hat das keinen Zweck. Wir warten bis morgen. Dann trommeln wir noch ein paar Männer zusammen." Dann wandte er sich an Weißes Reh: "Musst Du wieder zurück zu deinem Stamm?" Sie schüttelte den Kopf. "Mich vermisst im Moment keiner. Außerdem traue ich mich nicht mehr zurück." "Nimmst Du sie bei dir auf?" fragte John seinen alten Freund. "Gern! Wir haben jetzt sowieso Schluss. Kommst Du, Weißes Reh?" Sie verließen das Sheriffbüro.
Schließlich hatten der Captain und sein Sergeant sich verabschiedet. Jetzt stand Jim vor seinem Haus und trat mit seiner kleinen Begleiterin ein. Diana staunte nicht schlecht. "Hallo Schatz, da bist Du ja wieder. Nanu, wen bringst Du denn da mit?" "Das ist Weißes Reh vom Stamm der Najavo. Sie wird heute hier übernachten, wenn Du nichts dagegen hast." Und Jim erzählte die ganze Geschichte. Diana verstand sofort und war einverstanden. "Nun kommt aber erst Mal etwas essen!" sagte sie, als Jim geendet hatte. Weißes Reh durfte im Wohnzimmer schlafen, das gleich neben dem Schlafzimmer lag. Als Diana schon im Bett lag und Jim seinem kleinen Gast eine gute Nacht wünschen wollte, fragte ihn das Mädchen: "Du, wie soll ich dich eigentlich ansprechen?" "Oh, kein Problem", sagte Jim, "Du kannst mich einfach Jim nennen. Ich bin sicher, bei John kannst Du auch einfach John sagen. Und jetzt gute Nacht!" "Gute Nacht, Jim", sagte Weißes Reh und kuschelte sich ins Bett. Das Licht ging aus, und es wurde geschlafen. Doch keiner ahnte, dass morgen alles ganz anders kommen sollte, als man dachte.
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